Schlangenbader Bündnis für
Demokratie und Grundrechte

Schlangenbad, 15. Juni 1949: Ort der Demokratie!

Was geschah
am 15. Juni 1949
in Schlangenbad?

Im Mai und Juni 1949 tagten in Schlangenbad die Ministerpräsidenten der westdeutschen Bundesländer, um ein Wahlgesetz für die erste demo­kratische Bundestagswahl der Bundesrepublik zu erlassen. Verabschiedet und unterschrieben wurde dieses Wahlgesetz am 15. Juni 1949 im Kurhotel Schlangenbad.
Somit kommt Schlangenbad eine wichtige Rolle bei der Entstehung unserer Demokratie zu.

Informationen zu den Orten der Demokratiegeschichte in Schlangenbad, Hallgarten und Rüdesheim am Rhein sind hier zu finden:

Schlangenbad: https://www.demokratie-geschichte.de/karte/9068

Hallgarten: https://www.demokratie-geschichte.de/karte/2464

Rüdesheim am Rhein: https://www.demokratie-geschichte.de/karte/8527.

Wir haben nachfolgend die Ergebnisse unserer Nachforschungen kurz zusammengefasst und freuen uns über weitere Informationen, Dokumente und Bilder, die möglicherweise bei Ihnen lagern oder bekannt sind.

Zum historischen Hintergrund: Im Jahre 1948 waren die Zuständigkeiten ungeklärt. Erlass des Wahlgesetzes durch den Parlamentarischen Rat oder durch die Konferenz der Ministerpräsidenten der Deutschen Länder? Es bestand auch Unklarheit, ob das Wahlgesetz Bestandteil des Grundgesetzes werden sollte oder nicht. Der Parlamentarische Rat beschloss mit großer Mehrheit, ein Wahlgesetz zu erlassen, da neben ihm kein weiteres Gremium vorhanden war und zudem die Konferenz der Ministerpräsidenten dem Parlamentarischen Rat die Aufgabe zuweisen wollte ("Rittersturzkonferenz", 8./10. Juli 1948). Die Alliierten wollten Grundgesetz und Wahlgesetz strikt voneinander trennen und die Entscheidung den einzelnen Ländern überlassen.

Am 15. September 1948 konstituierte sich der Wahlrechtsausschuss des Parlamentarischen Rats. Der Wahlrechtsausschuss tagte 25 Mal und behandelte 11 unterschiedliche Gesetzesvorlagen für das Wahlgesetz – hierbei ist festzuhalten, dass der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee keinen Entwurf für ein Wahlgesetz beschlossen hat. Dies führte naturgemäß zu vielen Diskussionen über die Grundsätze des Wahlrechts und letztendlich zu parteipolitischen Positionen. Die Grundsätze des Verhältniswahlrechts, des absoluten oder relativen Mehrheitswahlrechts wurden als "Überzeugungsfrage" diskutiert.

Am 14. Oktober und 3. November 1948 fanden jeweils drei verschiedene Gesetzesentwürfe mit unterschiedlichen Grundsätzen des Wahlrechts im Wahlrechtsausschuss keine Mehrheit. Zu einem Durchbruch kam es erst am 18. Januar 1949 mit dem Vermittlungsvorschlag der SPD, der das Verhältniswahlrecht mit dem Persönlichkeitswahlrecht kombinierte. Auf dieser Grundlage wurde dann letztendlich am 24. Februar 1949 im Plenum des Parlamentarischen Rats entschieden. Am 4. Februar 1949 verständigte sich die Konferenz der Ministerpräsidenten mit dem Parlamentarischen Rat auf die Zuständigkeit des Parlamentarischen Rats für das Wahlgesetz.

Am 2. März 1949 erklärten die Alliierten, dass das Wahlgesetz nicht ins Grundgesetz aufgenommen werden kann. Vor allem angetrieben durch das Vorbild des US-Wahlsystems (Kongress- und Präsidentschaftswahlen auf der Basis unterschiedlicher Wahlgesetze in den US Bundesstaaten) sollten die Ministerpräsidenten länderspezifische Wahlgesetze erlassen. Lediglich die Gesamtzahl der Abgeordneten und die Verteilung nach Bundesländern könne möglicherweise in der Zuständigkeit des Parlamentarischen Rats verbleiben. Damit war der Parlamentarischen Rat nicht einverstanden. Zudem votierten die Ministerpräsidenten am 24. März 1949 in Königstein für ein bundeseinheitliches Wahlrecht. Der Parlamentarischen Rat solle mit 2/3-Mehrheit beschließen, was im Endeffekt den vorliegenden Entwurf des Wahlgesetzes unhaltbar machte, da eine 2/3-Mehrheit für diesen unerreichbar war.

Die Alliierten hatten am 14. April 1949 dem Parlamentarischen Rat "gewisse Zuständigkeiten" zugesprochen: Anzahl der Abgeordneten, Sitze pro Bundesland und Wahlsystem, woraufhin ein weiteres, modifiziertes Wahlgesetz entworfen wurde, das u. a. den Termin der ersten Bundestagswahl festlegte. Nachdem das Grundgesetz am 8. Mai im Parlamentarischen Rat beschlossen worden war, war nun Eile geboten, jedoch kam die erforderliche 2/3-Mehrheit nicht zustanden und das Wahlgesetz wurde nur mit 36 : 29 Stimmen beschlossen. Die fehlende 2/3-Mehrheit bei der Abstimmung im Parlamentarischen Rates und die Aufnahme des Wahltages in das Gesetz ohne Befugnis des Parlamentarischen Rats wurde am 28. Mai von den Alliierten in deren Stellungnahme zum Wahlgesetz beanstandet.

Nunmehr sollten nach Ansicht der Militärgouverneure der Alliierten die Konferenz der Ministerpräsidenten über das Wahlgesetz befinden. Als Sitzungsort hierfür wurde Schlangenbad ausgewählt. Weiter mit Zitat aus der Einleitung zu den Akten und Protokollen des Ausschuss für Wahlrechtsfragen (Hervorhebungen und Einschübe in Klammern von uns):

"Die Konferenz der Ministerpräsidenten von Bad Schlangenbad befaßte sich am 31. Mai und 1. Juni 1949 mit der alliierten Stellungnahme zum Wahlgesetz. Im wesentlichen brachten die Ministerpräsidenten, neben einigen kleineren Änderungsabsichten, zwei neue Vorschläge ein, die der Arbeit des Wahlrechtsausschusses diametral zuwiderliefen. Zum einen war es die Verschiebung des Verhältnisses von Listen- zu Direktmandaten von 50 : 50 zu 60 : 40. Zum anderen aber war es der Vorschlag einer 5 %-Klausel, der die Arbeit des Wahlrechtsausschusses in einem ganz wesentlichen Punkt konterkarierte. Noch am gleichen Tag äußerten sich die Militärgouverneure vorsichtig zustimmend zu den Änderungsvorschlägen der Ministerpräsidenten. Erwartungsgemäß löste der Beschluß bei denjenigen Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, die das Wahlgesetz erarbeitet und beschlossen hatten, große Entrüstung aus."

(…)

"Erwartungsgemäß wurden sich die Ministerpräsidenten auf ihrer Konferenz in Bad Schlangenbad am 10. Juni 1949 nicht darüber einig, ob sie zur Änderung des Wahlgesetzes ohne Zustimmung des Parlamentarischen Rates berechtigt seien. Erst die kategorische Anordnung der Militärgouverneure vom 13. Juni 1949, das Wahlgesetz in der jetzt vorliegenden Fassung zu verabschieden, führte mit nochmaligen geringfügigen Änderungen zu der endgültigen Verkündung des Wahlgesetzes am 15. Juni 1949 (in Schlangenbad) durch die Ministerpräsidenten." – Das Ganze mit einem Seitenhieb seitens der Ministerpräsidenten in der Präambel des Wahlgesetzes, die auf die Einflussnahme der Militärgouverneure deutlich hinweist.

Quellenangaben

Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Band 6, Ausschuß für Wahlrechtsfragen – Verfügbar im Bundesarchiv, Koblenz.

Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Die Entstehung des Grundgesetzes. Autor: Feldkamp, Michael F.; Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2019.

Autor: Erhard Lange, Titel: Der Parlamentarische Rat und die Entstehung des ersten Bundeswahlgesetzes. Erschienen in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1972.

Das erste Wahlgesetz und die Verordnung über den Wahltag, 14. August 1949 ist im Bundesgesetzblatt Nr. 2 zu finden.

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